Barfusslaufen – Ein Trend wissenschaftlich betrachtet

Barfusslaufen ist spätestens seitdem Buch Born to Run von Christopher McDougall in der Öffentlichkeit angekommen und zu einem Trend geworden. Das dort propagierte Barfußlaufen bzw. das Laufen in Barfuß-Laufschuhe (bzw. Minimalschuhe) wird viele Vorteile zugesprochen, die konventionelle Laufschuhe nicht haben sollen.  75 Prozent  der Verletzungen die Läufer erleiden sind an der unteren Extremität. 1  Barfußverfechter weisen daraufhin, dass diese hohe Prozentzahl durch hochentwickelte Laufschuhe nicht weniger geworden ist. Barfußlaufen soll die Lösung sein Verletzungen zu reduzieren und die Gesundheit zu verbessern. Auch in der wissenschaftlichen Diskussion wird spätestens seit den Artikeln 2 des Harvard Professor Daniel E. Lieberman Barfußlaufen intensiv diskutiert. Lieberman ist Professor für Biologie und spricht dem Ausdauer-Laufen eine wichtige Rolle in der Entwicklung des Menschen zu. Dabei zeigen seine Untersuchung von Barfußläufern aus Afrika, dass diese eher Vorfuß- oder Mittelfußläufer sind. Dieser Laufstil soll Verletzungen reduzieren und natürlicher sein, als der Rückfuß- oder Fersenlauf von Schuhträgern. 3 Barfußlaufen soll dabei die Lösung sein die Hohe Anzahl an Verletzung die durch das Laufen entstehen zu reduzieren. Wir wollen schauen, ob diese These Stand hält oder nicht.

In diesem Artikel gehe ich zunächst auf die Geschichte des Barfußlaufens ein. Danach beschreibe ich die meist genannten Argumente für das Barfußlaufen. Darauf folgend wird die Evidenz für diese Argumente analysiert und ein Fazit gezogen.

 

Inhalt

Kurze Geschichte des Barfusslaufen

Barfußlaufen ist geschichtlich gesehen die häufigste Form des Laufens. Dabei wurde entweder ganz barfuß gelaufen oder in dünnen Sandalen. Im Jahre 1960 holte der Äthiopische Läufer Abebe Bikila die Goldmedaille im Marathon. Dabei lief er, wie er es von zu Hause aus gewohnt war, barfuß. Jedoch nur da er keine passenden Schuhe in seiner Größe zur Verfügung hatte. Weitere Läufer die erfolgreich barfuß Rennen liefen waren z.B. Bruce Tulloh (GBR, 1962), Zola Budd (Südafrika, 1984-86) oder Tegla Loroupe (Kenia, 1988-1998). Auch der Einsatz von Minimalschuhen (Barfußschuhen) liegt schon weit vor dem heutigen Trend für Barfußschuhe zurück. Im Jahre 1951 gewann Shigeki Tanaka den Boston Marathon in Minimalschuhen. Auch Roger Bannister ließ sich extra Minmalschuhe  anfertigen, um noch schneller laufen zu können. 4 Dies passierte alles schon vor dem Minimalschuhtrend im Neuen Jahrtausend.

Im Jahre 2010 sah man dann auch schon beim Bostonmarathon mehr Barfußläufer und Minimalschuläufer als je zuvor. Durch das Buch Born to Run von Christopher McDougall (2009)Barfusslaufen im Buch von Christopher McDougall Born to Run kam und kommt es zu einer stetigen Steigerung der Popularität von Minimalschuhen und Barfußlaufen. Dies lies sich auch an den Absatzzahlen der Schuhhersteller sehen, die immer größere Mengen an Minimalschuhen absetzten.

 

 

 

 

 

Häufig genannte Argumente für das Barfusslaufen

Barfußlaufen werden diverse positive Eigenschaften zugesprochen, die Laufen in Schuhen nicht haben sollen. Folgende Punkte werden von Verfechtern des Barfußlaufens häufig genannt:

  • geringeres Verletzungsrisko,
  • bessere Laufökonomie,
  • Kräftigung der kleinen Fußmuskeln,
  • Korrektur von Fußfehlstellungen,
  • Minimierung von Rückenproblemen,
  • Stimulation der Fußreflexbögen für eine bessere (Organ)-Gesundheit und
  • gesteigerte Tiefenwahrnehmung (Propriozeption 5).

 

Ein geringeres Verletzungsrisiko entsteht laut den Verfechtern des Barfußlaufen hauptsächlich durch ein unterschiedliches Aufsetzen des Fußes. Dabei unterscheidet man schematisch drei verschiedene Aufsatzarten des Fußes: Vorfußlauf, Mittelfußlauf und Fersenlauf. Dabei soll der Vorfußlauf und der Mittelfußlaufen eine geringere Koallisonskraft 6 bewirken als der Fersenlauf. 7 Dieser Unterschied in den Aufsatzarten des Fußes lässt sich durch die größere Fußbeugung 8 und Fußgelenksflexibilität während des Aufpralls auf den Boden erklären. Dadurch wird die Masse die mit dem Boden kollidiert verringert. Barfußlaufen soll dabei bei den meisten Läufern automatisch zu einem Vorfuß- oder Mittelfußlauf führen. Normale Laufschuhe sind dabei verantwortlich für einen Fersenlaufstil, der zu einem hohen Verletzungsrisiko führen soll.

Eine bessere Laufökonomie soll sich durch Barfusslaufen ergeben. Die Laufökonomie wird dabei durch die Rate des Sauerstoffkonsums bei einer gegebenen submaximalen Laufgeschwindigkeit gemessen. 9 Die Laufökonomie ist trainierbar und soll sich unter anderem durch eine ökonomische Lauftechnik verbessern. Befürworter des Barfußlaufens gehen davon aus, dass Barfußlaufen die  Lauftechnik ökonomisiert.

Die Kräftigung der kleinen Fußmuskeln soll durch Barfußlaufen angeregt werden. Die kleinen Fußmuskeln (z.B. M. quadratus plantae, M. flexor digitorum brevis) sind im Gegensatz zu den oberflächlichen Muskeln des Unterschenkels Stabilisatoren des Fußes. Sie dienen unter anderem dazu,  das Gleichgewicht zu halten, als auch das Fußgewölbe zu unterstützen. Sie sollen dabei helfen Fußfehlstellung zu korrigieren und Verletzungen zu vermeiden. Normale Laufschuhe sollen den Fuß zu stark entlasten, so dass sich die Muskulatur nicht genügend Reize bekommt und abbaut.

Das Rückenprobleme durch Barfußlaufen minimiert werden wird häufig über die funktionelle Verbindung des Rückens mit den Füßen erklärt. Dabei soll sich die Stellung der Füße auf die gesamte Wirbelsäulenhaltung auswirken und positive Effekte bewirken.

Eine gesteigerte Tiefenwahrnehmung durch Barfußlaufen soll sich insgesamt günstig auf die Haltung und Aktivierung der Rückenmuskulatur auswirken.

Die Stimulation der Fußreflexbögen für eine bessere (Organ)-Gesundheit durch Barfußlaufen geht auf die sogenannte Reflexzonentherapie zurück. Dabei wird davon ausgegangen, dass der gesamte Körper einschließlich seiner inneren Organe auf dem Fuß abgebildet wird. Durch Stimulation (Massage) dieser Zonen am Fuß soll eine positive Wirkung auf die (Organ)-Gesundheit entstehen. Barfußlaufen soll in ähnlicher Weise diese Reflexzonen stimulieren und die Gesundheit verbessern.

 

 

Evidenz

Die versprochenen positiven Wirkungen des Barfußlaufens sind groß, jedoch lässt sich leider nur kaum einer dieser Punkte wissenschaftlich beweisen. Das meiste sind Spekulationen oder schlichtweg falsche Aussagen. In diesem Abschnitt gehe ich nun auf die einzelnen Punkte ein und präsentiere die Faktenlage.

Die Frage, ob Barfußlaufen ein geringeres Verletzungsrisiko als “normales” Laufen hat, lässt sich nur mittels einer prospektiven Studie beantworten. Momentan gibt es nur eine Studie von Altman et al. 10 die dieser Frage nach gegangen ist. Dabei wurden 201 (107 Barfußläufer und 94  Läufer mit Schuhen) Läufer über ein Jahr lang begleitet. Dabei wurden Informationen über die Laufkilometer und eventuell erlittene Verletzungen gesammelt. Ergebnis der Studie ist, dass die Verletzungsrate beider Gruppen identisch ist. Die Barfußläufer verletzten dabei Ihre Unterschenkel und Fuß mehr als die Läufer mit Schuhen.

Nun gibt es eine weitere prospektive Studie 11, die den Zusammenhang zwischen dem Tragen von Minimalschuhen und einem er höhten Verletzungsrisiko untersucht hat. Dabei wurden 61 Rückfuß-Läufer in zwei Gruppen aufgeteilt. Eine Gruppe lief in normalen Laufschuhen, die andere in Minimalschuhen. Gemessen wurden die Größen: “Schmerzen beim Laufen” und “laufbedingte Verletzungen”. Ergebnis der Studie ist, dass Läufer mit Minimalschuhen, die mehr als 35 km in der Woche laufen, mehr laufbedingte Schmerzen haben als Läufer mit normalen Schuhwerk. Des Weiteren wurde festgestellt, dass Läufer mit einem Körpergewicht über 71,4 kg, ein höheres Verletzungsrisiko gegenüber Normalschuh-Läufern haben. Das Verletzungsrisiko steigt bei einem Körpergewicht von 85,7 kg noch weiter an.

Diese Studien sind zwar noch nicht ausreichend um ein abschließendes Fazit ziehen zu können, jedoch scheint die Euphorie der Barfußläufer unbegründet. Barfußlaufen scheint das Verletzungsrisiko nicht zu senken und unter Umständen sogar zu steigern.

Eine bessere Laufökonomie durch Barfußlaufen wurde in diversen Studien untersucht. Dabei kommen die Übersichtsarbeiten 12 zu diesem Thema zu dem Schluss, dass sich Barfußlaufen positiv auf die Laufökonomie auswirkt. Jedoch gilt dies auch für Schuhe, die weniger als 440 Gramm wiegen. Bei einer kurzen Internetrecherche, die ich durchgeführt habe konnte ich feststellen, dass die meisten normalen Laufschuhe deutlich weniger als 440 Gramm wiegen. Damit ist meines Erachtens der Vorteil von Barfußlaufen für die Verbesserung der Laufökonomie so nicht gegeben.

Die Kräftigung der kleinen Fußmuskeln wurde indirekt in der Studie von Kelley et al. 13 untersucht. Dabei wurde die Aktivierung der kleinen Fußmuskeln während des Barfußlaufens und Laufens in Schuhen gemessen. Interessanterweise wurden die kleinen Fußmuskeln stärker aktiviert, wenn die Läufer in Schuhen liefen. Diese Studie unterstützt nicht die These, dass Schuhe unsere Fußmuskeln verkümmern lassen! Eine weitere Studie von Mullen et al. 14 konnte nach einem achtwöchigen Barfußlauftraining  keinen signifikanten Unterschied in der Muskelmasse der Füße der Studienteilnehmer (Barfußläuffer vs. Läufer mit Schuhen) erkennen. Eine weitere Studie von Chen et al. 15 fand im Gegenteil dazu heraus, dass ein 6 monatiges Tragen von Minimalschuhen zu einem Muskelzuwachs in den Fußmuskeln führte. Eine Studie zum Thema Fußfehlstellungen und Barfußlaufen konnte ich nicht finden. Definitive Aussagen sind noch nicht machbar, dar es an genügend aussagekräftigen Studien mangelt.

 

Zum Thema Rückenprobleme und Barfußlaufen gibt es meines Wissens bis jetzt keine Studie, die diesen Sachverhalt untersucht hat.

Die Steigerung der Tiefenwahrnehmung wurde auch in der Studie von Mullen et al. 16 untersucht. Auch hier gibt es keinen signifikanten Unterschied zwischen den beiden Läufergruppen.

Die Stimulation der Fußreflexbögen für eine bessere (Organ)-Gesundheit durch Barfußlaufen wurde bis jetzt in keiner Studie untersucht. Jedoch wurde die Reflexzonentherapie umfassend von Ernst 17 untersucht. Dabei konnte keine Effektivität der Relexzonentherapie nachgewiesen werden. Des Weiteren ist mir nicht ganz schlüssig, warum es zu keiner Stimulation der Reflexzonen kommen soll, wenn man Schuhe trägt?

 

Eigenschaft/WirkungBarfußlaufenLaufen in Schuhen
VerletzungsrisikoGleich oder höherGleich oder niedriger
Laufökonomiebesserschlechter, aber nur wenn Schuhe schwerer als 440 Gramm sind
Kurze Fußmuskelngeringere Aktivierung; kein Unterschied in der Muskelmassehöhere Aktivierung; kein Unterschied in der Muskelmasse
FußfehlstellungenNicht untersuchtNicht untersucht
RückenproblemeNicht untersuchtNicht untersucht
Tiefenwahrnehmungkein Unterschiedkein Unterschied
Relfexzonen/Organ-
gesundheit
Nicht untersuchtNicht untersucht

 

 

Fazit

Barfußlaufen kann sich in keiner Kategorie gegenüber dem Laufen in Schuhen durchsetzen. Es bleibt dem Einzelnen überlassen, welche Form des Laufens er favorisiert. Wissenschaftlich gesehen gibt es keine Vorteile des Barfußlaufens.

 

Updates

(15. März 2017) – Ergänzung einer Studie zum Thema Barfußlaufen und Erhöhung des Verletzungsrisiko

 

 

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Notes:

  1. Roth, Jonathan, Julie Neumann, and Matthew Tao. “Orthopaedic Perspective on Barefoot and Minimalist Running.” Journal of the American Academy of Orthopaedic Surgeons 24.3 (2016): 180-187.
  2. Bramble, Dennis M., and Daniel E. Lieberman. “Endurance running and the evolution of Homo.” Nature 432.7015 (2004): 345-352, Lieberman, Daniel E., et al. “Brains, brawn, and the evolution of human endurance running capabilities.” The First Humans–Origin and Early Evolution of the Genus Homo. Springer Netherlands, 2009. 77-92,Lieberman, Daniel E., et al. “Foot strike patterns and collision forces in habitually barefoot versus shod runners.” Nature 463.7280 (2010): 531-535.
  3. Daniel E., et al. “Foot strike patterns and collision forces in habitually barefoot versus shod runners.” Nature 463.7280 (2010): 531-535.
  4. http://www.runnersworld.com/barefoot-running/a-brief-history-of-barefoot-running
  5. Wahrnehmung der Körperbewegung und Körperlage im Raum
  6. Kraft beim Auftreffen des Fußes auf den Boden
  7. Daniel E., et al. “Foot strike patterns and collision forces in habitually barefoot versus shod runners.” Nature 463.7280 (2010): 531-535.
  8. Plantarflexion
  9. Moore, Isabel S. “Is There an Economical Running Technique? A Review of Modifiable Biomechanical Factors Affecting Running Economy.” Sports Medicine (2016): 1-15.
  10. Altman, Allison R., and Irene S. Davis. “Prospective comparison of running injuries between shod and barefoot runners.” British journal of sports medicine 50.8 (2016): 476-480.
  11. Fuller, Joel T., et al. “Body Mass and Weekly Training Distance Influence the Pain and Injuries Experienced by Runners Using Minimalist Shoes: A Randomized Controlled Trial.” The American Journal of Sports Medicine (2017): 0363546516682497.
  12. Moore, Isabel S. “Is There an Economical Running Technique? A Review of Modifiable Biomechanical Factors Affecting Running Economy.” Sports Medicine (2016): 1-15, Cheung, R. T., and S. P. Ngai. “Effects of footwear on running economy in distance runners: A meta-analytical review.” Journal of Science and Medicine in Sport 19.3 (2016): 260-266, Fuller, Joel T., et al. “The effect of footwear on running performance and running economy in distance runners.” Sports Medicine 45.3 (2015): 411-422,
  13. Kelly, Luke A., et al. “Shoes alter the spring-like function of the human foot during running.” Journal of The Royal Society Interface 13.119 (2016): 20160174.
  14. Mullen, Scott, et al. “Barefoot Running The Effects of an 8-Week Barefoot Training Program.” Orthopaedic journal of sports medicine 2.3 (2014): 2325967114525582.
  15. Chen, Tony Lin-Wei, et al. “Effects of training in minimalist shoes on the intrinsic and extrinsic foot muscle volume.” Clinical Biomechanics 36 (2016): 8-13.
  16. Mullen, Scott, et al. “Barefoot Running The Effects of an 8-Week Barefoot Training Program.” Orthopaedic journal of sports medicine 2.3 (2014): 2325967114525582.
  17. Ernst, Edzard. “Is reflexology an effective intervention? A systematic review of randomised controlled trials.” Med J Aust 191.5 (2009): 263-6.
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